chronische Schmerzen

Definition

Schmerz ist das, was der Patient als solchen empfindet.

Chronischer Schmerz ist ein zeitlich länger andauernder Schmerz, wobei der genaue Zeitrahmen unterschiedlich definiert wurde, typischerweise drei bis zwölf Monate. Länger dauernde Schmerzen können sich in ein chronisches Schmerzsyndrom mit eigenem Krankheitswert entwickeln. Die Schmerzen haben dann ihre Leit- und Warnfunktion verloren. Diese Schmerzkrankheit ist neben den organischen auch durch die daraus folgenden bio-psycho-sozialen Veränderungen definiert, die in die integrative Schmerzbehandlung einfließen müssen.

Chronische Schmerzen haben - im Gegensatz zu akuten - fast nie nur eine einzige auslösende oder unterhaltende Ursache, sie sind multikausal. Die Behandlung mit typischen Analgetika alleine ist für chronische Schmerzen nicht ausreichend!

Schmerzgedächtnis

Chronische Schmerzen werden erlernt. Die sich abspielenden Prozesse werden auch als Schmerzgedächtnis bezeichnet.

Nervenzellen können lernen. Wenn wir ein Gedicht auswendig lernen, müssen wir es ständig wiederholen; wenn Schmerzen immer wieder auftreten, werden auch diese Lernvorgänge auslösen.

Akute Schmerzen sind überlebenswichtig, sie bewahren uns vor Schaden.

Bei immer wieder auftretenden Schmerzen lenkt das Gehirn seine Aufmerksamkeit darauf: da ist irgendetwas nicht in Ordnung, da muss ich mal genauer hinschauen. In der Folge wird die Schmerzschwelle am Ort der Schmerzen erniedrigt, die Schmerzimpulse zum Hirn anderen Impulsen vorgezogen und schneller zum Hirn geleitet. Und auch das neuronale Netzwerk im Hirn ändert sich: so werden schmerzhafte Areale auf der Hirnoberfläche größer repräsentiert.

Mit der Zeit kann es vorkommen, dass es keine Ursache für den Schmerz mehr gibt, die Schmerzen aber weiter wahrgenommen werden. Es können dann normale Berührungen als schmerzhaft empfunden werden oder der Schmerz breitet sich sogar auf andere Körperregionen aus.

Das System ist dann mit einem übersteuerten Verstärker zu vergleichen, wo kleine Geräusche bereits eine massive Übersteuerung auslösen.

Neurowissenschaftler kennen die zugrunde liegenden molekularen und zellbiologischen Zusammenhänge:
- Änderung des neuronalen Netzwerkes
- biochemischen Veränderungen der Nervenzellen und der Synapsen
- Anpassung der Schmerzsensoren

Wichtig: Die Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses ist etwas ganz normales, manche Personen sind aber bevorzugt davon betroffen. Sicher hat es nichts mit einer erhöhten Empfindlichkeit (Weichei) zu tun. Auch "stellt sich keiner an", der unter chronischen Schmerzen leidet.

Therapien

Bei der Beschäftigung mit chronischen Schmerzen werden Sie immer wieder auf den Begriff der "multimodalen Therapie" stoßen. Das bedeutet nichts anderes als dass es nicht die EINE Therapieform gibt, sondern aus einem ganzen Bündel die jeweils passende herausgesucht werden muss.

Aufklärung:
Für uns ist die Aufklärung ein ganz entscheidender Punkt. Dafür muss die Zeit da sein. Wenn sich im Gespräch der Verdacht auf einen chronischen Schmerz stellt, wird das offen angesprochen und erklärt. Wichtig zu wissen ist, dass es sich dabei um einer Erkrankung handelt, für die der Betroffene nichts kann. Niemand mit solch einer Erkrankung " stellt sich an" ! Gerne verweisen wir auf einschlägige Internetseiten unter den Schlagworten:

- chronischer Schmerz
- chronisches Schmerzsyndrom

Danach werden weitere Gespräche geführt und Fragen beantwortet. Das Konzept des chronischen Schmerzsyndromes ist schwierig zu verstehen, und schon gar nicht beim ersten Arzt/Patientenkontakt.

Stigmatisierungen machen es noch schwieriger, ebenso das eigene Wertesystem. Aussagen wie: "Stell dich nicht so an. Reiß dich mal zusammen. Andere machen das doch auch und haben es viel schwerer" oder "Früher habe ich das doch auch geschafft. Ich muß dagegen angehen" sind bekannt und zeugen von Unwissen.

Schwierig ist auch zu verstehen, dass es sich nicht um eine psychiatrische Erkrankung handelt, dass aber die Psyche eine große Rolle spielt. In der modernen Schmerztherapie gibt es keine Trennung zwischen Psyche und Körper. Beides wird als Einheit gesehen, beides steht in einer intensiven Wechselwirkung.

Dazu ein Auszug aus einer Auswertung von Studien über die Entwicklung von chronischen Rückenschmerz der Bertelsmann-Stiftung:

"-> Beim Übergang vom akuten zum chronischen Rückenschmerz spielen diverse psychosoziale Faktoren eine entscheidende Rolle.

-> Anhand dieser Faktoren lässt sich das Risiko für chronische Rückenschmerzen besser voraussagen als anhand der physischen Faktoren."

Mit anderen Worten: In manchen Fällen ist sind die psychosozialen Faktoren wichtiger als die körperlichen Faktoren. Schmerz wird demnach heute als Bio-Psycho-Soziale Erkrankung aufgefasst.

Medikamentöse Therapie:
Sie haben im Therapieplan einen festen Platz und müssen dem individuellen Schmerz angepasst werden. Gelegentlich reicht ein Medikament allein nicht aus.

Nach den Leitlinien der Fachgesellschaften kommt frühzeitig ein niedrig dosiertes Antidepressivum zum Einsatz. Die in der Schmerztherapie verwendete Dosis liegt unter der antidepressiv wirksamen Dosis, und der Einsatz heißt nicht, dass Sie depressiv sind. Das Medikament beeinflusst aber die Schmerzwahrnehmung im Gehirn positiv.

Infos